06 Dez. Sanitäter – Lückenbüßer ohne Perspektiven
Der Ruf nach Sanitäter*innen ertönt oft in Ausnahmesituationen. Sie sind die Gruppe an der Schwelle zu den Gesundheitsberufen, die dann zum Zug kommen, wenn sich menschliche, soziale oder durch Katastrophen bedingte Tragödien abspielen. Die Verantwortlichen und die Öffentlichkeit erwarten schnell abrufbare Profis, die rund um die Uhr verfügbar sind, uns vor dem Schlimmsten bewahren, die Antworten und Lösungen parat haben für Situationen, die uns aus unserem Alltag reißen.
So gestaltet sich auch die aktuelle Situation, in der uns die Corona-Pandemie fest im Griff hält: wir sind in einer weltweiten Ausnahmesituation, ganz speziell im Gesundheitsbereich. Während auf der einen Seite über Herausforderungen in Pflegeheimen, die Situation in Krankenhäusern und Triage auf Intensivstationen debattiert wird, werden auf der anderen Seite unter dem öffentlichen Wahrnehmungsradar Kräfte mobilisiert, um Großprojekte wie Massentestungen und Impfungen umzusetzen.
Dabei setzt man auf die Ressource „Rettungssanitäter“ – ein im „Register der Gesundheitsberufe“ nicht erfasster Gesundheitsberuf, der nicht zuletzt dank Freiwilligkeit, Zivildienst und Freiwillig Sozialem Jahr auf ein scheints unerschöpfliches Pool an unterstützungs-affinen, hochmotivierten Personen zurückgreift. Die Politik bestimmt in Abstimmung mit den Organisationen, was gemacht wird, ausführen sollen es dann die im gesamten Gesundheitswesen am geringsten ausgebildete Tätigkeitsgruppe: die der Sanitäter*innen. Mit 260 Stunden Ausbildung (12,5 Tage Theorie und 14 Dienste als Praktikant*in) sind sie immer schon an vorderster Front bei Unfällen oder internistischen medizinischen Notfällen im Einsatz, im Krankentransport und bei Intensivüberstellungen. Freilich gibt es dann auch noch besser qualifizierte Notfallsanitäter (+480 bis 680 Stunden Ausbildung), doch auch die sind – ähnlich wie Intensivpfleger*innen – eine rare Ressource. Nicht wegen mangelnden Interesses seitens der Sanitäter*innen, sondern weil diese Ausbildung von den Organisationen nur wenigen vorbehalten wird.
Sie alle sind auch jetzt an vorderster Front diejenigen, die Schwerstkranke transportieren, versorgen, heben und keinen Sicherheitsabstand einhalten können. Sie tragen Patienten mit aufgesetzter Schutzmaske über viele Stockwerke und bekommen dabei richtig schlecht Luft. Trotz Schutzmaßnahmen kommt es auch immer wieder zu Covid-Erkrankungen unter den Kolleg*innen.
Es ist ein schönes Gefühl, gebraucht zu werden. Es ist kein schönes Gefühl, ausgenutzt zu werden. Die Grenze zu ziehen, fällt manchmal schwer, besonders wenn man kein Mitspracherecht hat.
Im Schnellverfahren wurde nun allen Sanitäter*innen die Kompetenz zur Abstrichabnahme (Nasen- und Rachenabstrich) verliehen. Weil wir ausgebildet wurden, flexibel zu sein, situationselastisch. Der Notfall lässt sich eben nicht planen. Nun sollen sie auch impfen dürfen. Freilich sind das alles Tätigkeiten, die jedermann gut und rasch lernen kann und das Risiko – zumindest für die Patient*innen – überschaubar bleibt.
Wir verstehen die politisch Verantwortlichen. In der Not muss man mit den Ressourcen arbeiten, die vorhanden sind. Dabei wird in Kauf genommen, dass nicht die qualifiziertesten, sondern die verfügbaren Kräfte aktiv werden, wie auch im Rettungsdienst. Nachhaltig ist das nicht.
Öffentlich wird der Eindruck erweckt, es handle sich bei Sanitäter*innen um hochkompetente Fachkräfte, wir halten das für Etikettenschwindel. Wer darauf aufmerksam macht, wird schnell als Nestbeschmutzer gebrandmarkt.
Österreich hat unbestritten eines der besten medizinischen Versorgungssysteme. Der Rettungsdienst wird darin jedoch nicht erfasst und befindet sich deshalb in einem qualitativen Vakuum.
Die Gruppe der Sanitäter wurde jahrzehntelang nicht beachtet. Seit Jahren engagiert sich der Bundesverband Rettungsdienst (BVRD.at) für eine umfangreichere und an internationale Standards angepasste Ausbildung für das Rettungsdienstpersonal. Im Rahmen der Covid-Pandemie zeigt sich nun, wie enorm abhängig das Land von gut ausgebildeten Sanitäter*innen ist, die es nicht gibt.
Es ist Zeit im Rahmen dieser Diskussion endlich das Thema der Sanitäter und der Rettungsdienstlichen Versorgung in diesem Land anzugehen und neu zu denken.
Der BVRD.at fordert daher
- die Schaffung eines Berufsbilds für Sanitäter einhergehend mit einer mehrjährigen Ausbildung
- Anerkennung von Sanitätern als Gesundheitsberuf und Aufnahme in das Gesundheitsberuferegister
- Durchlässigkeit hin zu anderen Gesundheitsberufen und Arbeitsbereichen (innerklinisch sowie in der Primärversorgung) sowie die Schaffung von Berufspfaden und Entwicklungsmöglichkeiten als Sanitäter
- Ausbildung auf Basis evidenzbasierter Standards nach internationalem Vorbild
- Die Etablierung organisationsunabhängiger, österreichweiter Ausbildungsinstitutionen
Weitere Unterlagen und Details finden Sie auch in unserem Positionspapier, abrufbar unter http://bvrd.at/images/Downloadbereich/Positionspapier_Zukunft_Rettungsdienst.pdf
Über den BVRD.at
Der Bundesverband Rettungsdienst (BVRD.at) ist ein gemeinnütziger Verein und versteht sich als organisationsübergreifende Plattform und Fachvertretung für alle im präklinischen Gesundheitsbereich tätigen Personengruppen. Als Interessensvertretung für Sanitäterinnen und Sanitäter setzt er sich mit Aktivitäten zur fachlichen Förderung und organisationsübergreifenden Vernetzung für die Weiterentwicklung und Anliegen eines modernen, patientenorientierten und qualitativ hochwertigen Rettungsdienstes in Österreich ein.